Samstag, 24. Oktober 2015

Paradoxon-Komplex: Homo oeconomicus

Ist ökonomisches Denken und Handeln als Merkmal des Homo oeconomicus etwas gutes oder eher etwas schlechtes? Oder gar etwas notwendiges mit einem faden Beigeschmack? Fakt ist wohl eher, dass das ökonomische denken und Handeln uns alle im Alltag begleitet. Durch unser erlerntes Verständnis von Mittelwert-Gegenstandswert, Preis-Leistungsverhältnis und Aufwand-Resultateffizienz schaffen wir es in allen Lebenssituationen das für uns bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Das Ausbalancieren zwischen schier unendlichen Bedürfnissen einerseits und stark begrenzten Ressourcentypen jeglicher Art andererseits ist nicht immer leicht und gleicht oftmals einer Kunst. Da Verstand von rationeller Natur, Bedürfnisse aber emotionaler Natur sind und sich in den seltensten Fällen gut verstehen und harmonieren. Denn das Bedürfnis fragt, was man denn jetzt gerne hätte. Der Verstand hingegen fragt nach dem "Wieso?" oder nach Alternativen mit dem selben Resultat.

Durch die Industrialisierung folgte die Effizienz der Effiktivität auf dem Fuße. Paradebeispiel ist wohl die Erfindung der Fließbandarbeit. Das erste Fließband war kein bewegliches. Es zielte auf die möglichst schnelle Produktion von Massenwaren ab. Anstatt Facharbeiter damit zu beauftragen einen gewissen Gegenstand zu erstellen, und es damit schlussendlich sein Auftrag war dem gerecht zu werden, wurde der Arbeitsaufwand auf ein minimales reduziert und durch routinierte Handgriffe ersetzt. Resultierend daraus musste jeder nur den geringstmöglichen Aufwand betreiben und reichte das Halbprodukt weiter an den nächsten, welcher wiederum seinen Teil dazu beitrug - bis das Produkt schließlich fertig zusammengesetzt wurde und in den Verkauf gelangte. So wurde also aus der effektiven Produktion eine lukrativere und somit effiziente Massenproduktion. Die ganze Umwälzung des Arbeitssystems war der Weg zum Ziel mehr Produkte in kürzerer Zeit mit steigendem Profit zu erreichen. Doch warum erwähne ich dieses Beispiel? Gleicht dies nicht jedem Schritt aus unserem Alltag? In diesem Beispiel war es der Unternehmer, der die Chance für sich erkannte, bewertete und umsetzte um das bestmögliche herauszuholen. Auch jeder einzelne von uns trifft ständig von uns solche Entscheidungen während des ökonomischen Denkens. Wir stellen uns vor: wir haben gerade eine neue Wohnung und sind dabei die Wohnung einzurichten. Natürlich stolpern wir auch über die Gedanken: "Waschmaschine ja oder nein?". Wir denken ökonomisch und fassen kurz zusammen, dass eine Spülmaschine uns die Arbeit abnimmt, Wasserkosten senkt und uns mehr Zeit für uns selbst gibt, damit wir noch produktiver sind. Die Effizienz in unserem Leben - das optimieren von Arbeitsabläufen und Unternehmungen in den eigenen vier Wänden mit möglichst wenig eigenem Arbeitsaufwand - Effektivität, Optimierung, Effizienz, Optimierung, Profit, Optimierung, Fortschritt, Optimierung, Revolution, Optimierung...! Was wir nicht alles optimieren für mehr für weniger! Doch bin ich selbst optimal? Mein ökonomisches handeln (auf emotionaler Ebene) hält sich in Grenzen. Denn wir lassen uns beeinflussen, uns mangelt es an Objektivität und schlussendlich kaufen wir nicht die Spülmaschine die "optimal" wäre (also günstiger Preis / sauberes Geschirr als Resultat = unser Profit), sondern wir kaufen die eine Spülmaschine die wir uns schon immer mal angucken wollten, weil wir ja Technikaphin sind, sie uns sowieso ein bisschen mehr gefällt als die andere und eh nur 75€ mehr kostet. 

Wir stellen also fast, dass der Homo oeconomicus eine rein fiktive Figur ist und als Voraussetzung eine Optimierung unserer selbst hat. Die Differenz zwischen denken und handeln ist einfach zu groß. 

Denn ökonomisches denken und handeln trägt doch auch eine Verantwortung gegenüber der Umwelt mit sich oder nicht? Schließlich ist es unser Ziel mit mangelnden Ressourcen unendlich viele Bedürfnisse zu erfüllen. Der Homo oeconomicus setzt sich selbst einem gewissen Minimalismus aus, verlangt aber maximalen Profit. Denn er würde sich keine Weingläser kaufen, da er doch schon andere Gläser hat für Wasser und Saft. Weingläser unterscheiden sich doch nur in der Form zu den anderen Gläsern und erfüllen ihren primären Zweck als Gefäß doch genau so gut wie alles andere. Warum also Geld ausgeben? Auf diese Weise hat er gleich Geld gespart und maximalen Ertrag durch effizientes trinken seines Weines erreicht. Und ob er sich eine Spülmaschine kaufen würde, wäre auch zu bezweifeln. Denn Teller und Co kann man doch auch mehr als einmal benutzen. Spülmittel? Nur selten, denn der Teller wird doch auch nur mit Wasser ausreichend sauber; klinisch rein und perfekt glänzend muss doch nicht sein. Somit spart er immer häufiger durch ökonomisches Überdenken der eigenen Schritte und schont zeitgleich die Umwelt durch reduzierte Müllproduktion und weniger Wasserverschmutzung. Beim Homo oeconomicus greift das Denken und Handeln ineinander. Er ist das Optimum der menschlichen Vorstellung. Es beruht auf die effiziente Erfüllung aller eigenen Notwendigkeiten; nicht die der Wünsche. Als würde er auch keinen Wein trinken, da es ökonomisch unklug wäre. Er würde irgendwo eine kleine Wohnmöglichkeit haben die möglichst preiswert wäre - vielleicht nicht schön, denn davon hat er nichts, aber preiswert - und würde nur von Wasser und Butterbrot leben. Der Homo oeconomicus ist in allen wirtschaftlichen Bereichen perfekt. Er ist so gesehen ein übernatürliches Wesen, welches nicht wie wir der Subjektivität ausgeliefert ist. Er ist rein objektiv und fragt stets nach dem Aufwand, dem Nutzen und dem "Wieso?".

Ähnlich sieht es aus, wenn wir von unserem Vorgesetzten zu einen Homo oeconomicus dirigiert werden und eine Reihe von Entscheidungen treffen sollen. Prokura bevollmächtigt werden Strategien entwickelt und, wie sollte es schlussendlich sein, Fehler gemacht! Der Mensch ist alles andere als vollkommen und optimiert. Der 'Wirtschaftsmensch' kann also kein Mensch sein - unmöglich. Denn Menschen haben Bedürfnisse, sind schnell gelangweilt und bekommen noch mehr Bedürfnisse, wollen sich etwas aufbauen, wollen den Wein und den Tatort genießen usw.! Diese fiktive Figur hätte zu alldem keinen Draht. Seine einzige Maxime wäre der Nutzen und die Effizienz. 

Der normale Bürger, welcher in die Wirtschaft eingreift und Aufträge vergibt, nennt man wohl in diesem Sinne "Wirtschaftsbürger". Er geht in den Supermarkt, möchte eine Wurst kaufen und steht vor dem Regal mit der gigantischen Auswahl. Er wird sich für die günstige Wurst entscheiden, die nur 59 Cent pro 100 Gramm kostet. Stolz erkennt er, dass er wohl klug gehandelt haben muss und sein Bewusstsein über finanzielles wohl ebenfalls gar nicht so schlecht war. Doch auf dem Weg zur Kasse bemerkt er gar nicht, dass das Hundefutter zwei Regale weiter doppelt so teuer war und er, der Moderne Wutbürger, gerade eine Auftragsbestätigung geschickt hat. Er kaufte die Wurst des billigsten Herstellers und schickte ihm über einen Umweg folgende Nachricht:

"Dieses Produkt gefällt mir. Ich habe es gekauft. Bitte genauso noch einmal produzieren. Ich akzeptiere eure Firmenphilosophie, eure Lohnstrukturen und eure Tierhaltung!"

Dabei ist ihm völlig unklar, dass jeder Kunde die wohl größte Macht hat auf dem Markt mitzuwirken und jede Menge Verantwortung hat. Kauft ein Kunde ein Produkt, so gibt der nicht die Verantwortung ab, er hat seine Verantwortung ausgeübt. Und in diesem Wurst-Beispiel wurde er seiner Verantwortung nicht gerecht. Doch warum? Weil er kein Bild des Unternehmens vor dem Auge hat. Er sieht nicht, wie die Schweine gehalten und geschlachtet werden. Er sieht nicht, welcher Vater dort unter miserablen Bedingungen der modernen Sklaverei arbeiten muss, um seine Familie über die Runden zu bringen. 

In diesem Sinne: genießt euer Leben, versucht nicht einem Topmodel zu ähneln und nehmt euch selbst nicht zu ernst. Der Homo oeconomicus ist nur ein Schulfigur. Persönliches Glück steht doch für jeden von uns an erster Stelle. Egal ob es darauf beruht eine Weltreise zu bewältigen oder die liebsten Menschen in seinem eigenen Leben glücklich zu machen. Entscheidungen müssen nicht rational begründbar sein. Ihr müsst sie nur vertreten können. Und die Welt ist doch deswegen so schön bunt, weil wir alle keine optimalen Figuren sind, im Moment leben können und gute Taten machen, obwohl wir keinen Profit erwarten. Und dieses persönliche Glück ist keine Erfüllung einer ökonomischen Formel, sondern eine innerliche Erfüllung eurer selbst. Schmeißt Peinlichkeiten aus eurem Denkprozess, genießt den Moment, bildet Freundschaften und trinkt euer Lieblingsbier im Sonnenuntergang. 

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