Montag, 9. November 2015

Alles auf Pump?!



Wer kennt das nicht: Mal eben 1,50 € für‘s Essen 1 in der Mensa vom Kommilitonen geliehen oder am Monatsende 50 € von den Eltern und nochmal 100 € für den Sommerurlaub von Oma und Opa. Im Privatbereich sind solche "Leihgaben" im Großen und Ganzen recht unproblematisch und z.T. auch unverbindlich, sprich dem/der Kommilitonen/in sollte man das Geld irgendwann zurückgeben oder im Gegenzug mal einen Kaffee spendieren. Großeltern und Eltern sehen dagegen oft von einer Rückzahlung ab. Wie ist es aber, wenn Teile der Gesellschaft, Wirtschaft und Staat nur noch auf diese Weise funktieren? Wenn ein großer Teil der Volkswirtschaft und des Wohlstands eines Landes auf Pumpgeschäften basiert oder, anders gesagt, auf einer großen fiktiven Kapitalblase? Diese Formulierung klingt vielleicht zynisch und auch etwas paranoid, aber es scheint doch etwas Wahres daran zu sein. Man denke an die Finanzkrise im Herbst 2008, die ausgelöst wurde durch die Pleite der US-Großbank Lehman Brothers. Der Grund dafür war, dass Unternehmen (und viele andere auch) feststellten, dass dem geschriebenen Geld (Aktien, Kredite, Fonds) keine echten Werte (Immobilien u.a.) gegenüber standen bzw. dass diese Werte auch wieder an Kredite gebunden waren und man als Eigentümer eines Hauses nur Geld erhält, wenn man es auch verkauft bekommt. Aber genug der Theorie.
Dieses System des sich-Geld-Leihens ist legitim, solange das Geld auch wieder zurückgegeben wird bzw. ein Gegenwert besteht. Aus BWL-Sicht gibt es dazu folgende Vorgaben, die ich für private Haushalte etwas umformuliert habe: Kleine variable Ausgaben (Wocheneinkauf, Kneipenbesuch) sowie auch fixe und langfristige (Miete, Versicherung, Kommunikationskosten/Handyvertrag) sollten nicht mit Krediten bezahlt werden (Befög/ Studienkredite nehme ich hier mal raus). Langfristige und große Ausgaben können andererseits über geliehenes Geld finanziert werden, da es (meist) einen Gegenwert oder eine Sicherheit gibt, z.B. Darlehen (Wohnungs- und Hauskauf/-bau), Kredite für Autos, teure technische Geräte etc. Was man allerdings seit geraumer Zeit beobachten kann, ist der inflationäre Umgang mit Krediten, unabhängig davon, ob es sich nun um einen privaten Haushalt oder den von Industrie oder Staaten handelt. Um Geld unters Volk zu bringen und den Markt am Leben zu halten, wurde in den letzten Jahren von der EZB kontinuierlich der Leitzins gesenkt. Das hatte zur Folge, dass Kredite günstiger geworden sind, denn man muss schlichtweg weniger Zinsen zahlen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sich Sparen kaum noch lohnt. Die dadurch enstandenen Angebote à la 0% Finanzierung für Fernseher, Smartphone und Waschmaschine sind natürlich auch verlockend, gerade wenn man die Gesamtsumme für ein Produkt gerade nicht zur Verfügung hat. Das Problem ist der Status Quo im Falle der Zahlungsunfähigkeit - dann ist nämlich (fast) aller Wohlstand wieder weg. Elektrogeräte verlieren extrem an Wert, durch einen Weiterverkauf lassen sich kaum die Schulden decken. Im Idealfall und wenn bei der Finanzierung nichts dazwischen kommt, sind diese Angebote nichtsdestotrotz sehr praktisch. Jeder sollte allerdings vorsichtig sein und überlegen, ob er nun wirklich das brandneue I-Phone oder den aktuellesten Smart-TV wirklich braucht und dafür sein Konto längerfristig belasten möchte.

Es gibt aber auch Wirtschaftszweige, die ohne solche Pumpgeschäfte gar nicht funktionieren würden - beispielhaft dafür ist die Immobilienbranche. Hier steht im Normalfall einer hohen Finanzierungssumme der entsprechende Gegenwert gegenüber. Die Entwicklung der Eigentumswohnungspreise in Berlin steht jedoch auf einem anderen Blatt. Seit einem knappen Jahr wird in Berlin auch von "der Blase" gesprochen, die langsam am Platzen ist. Zum einen werden Bauherren und Investoren ihre Wohnungen nicht mehr los ( 400.000€ für eine 2-Raumwohnung in Friedrichshain scheinen also doch überteuert zu sein), zum anderen verschulden sich private Haushalte auf Jahrzehnte mit dem Kauf bzw. der Finanzierung dieser. Und die Frage, ob der angegebene Wert dem tatsächlichen Marktwert entspricht oder wie denn der wirkliche Gegenwert ist, kann und will keiner beantworten. Bei Lehman Brothers wollte das auch niemand.
Ein Beispiel für eine mögliche Blase möchte ich aber noch nennen. Der wichtigtste Industriezweig Deutschlands hat sich ebenfalls in der Finanzierungsfalle verfangen - die Autoindustrie. In einer VL im Bereich Politikwissenschaft bekam ich mal den Tipp vom Prof., je weniger ich zu einer Thema im Internet fände und je mehr dieses höchst einseitig im Netz erklärt werde, desto mehr sollte ich es hinterfragen. Im Internet finde ich zahllose Berichte wie toll Leasing für Autos sei, dass die einzige Tücke die Wartungverträge seien und dass generell deutsche Autobanken besser seien als ausländische. Aha. Fakt ist, dass sich die Autopreise seit den 1990iger Jahren nahezu verdoppelt haben, die Nettogehälter aber nicht. D.h., um einen Golf zu fahren, muss man tiefer in die Tasche greifen als noch 1995, auch ins Verhältnis zum seither gestiegenen Durchschnittseinkommen gesetzt. Daher bietet sich eine 200€ Leasingrate an, im Vergleich zur 500€ Finanzierungsrate, und man hat auch immer das neueste Modell (O-Ton alle Autohersteller). ABER ich erlange keinen Gegenwert, denn nach dem Leasing ist das Auto weg. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder bei Zahlungsproblemen ist das Auto weg (Restschuldversicherungen gibt es, diese sind aber sehr kostspielig). Und wenn man beschließt, seine Lebenssituation spontan zu ändern (Ausstieg, Umzug, neuer Job bei dem man kein Auto benötigt), ist das der freundlichen deutschen Autobank völlig schnuppe, denn das Leasing läuft, solange der Vertrag dauert.



Vorsicht, Prüfung und genaues Überlegen und Vergleichen sollte aber bei allen Krediten oberste Maxime sein. Eine Finanzierung ist nicht grundsätzlich schlecht, aber es gibt viele Tücken. Sowohl für private Haushalte als auch für die Wirtschaft und ganze Staaten sollte das finanzielle Rückgrat nicht aus Pumpgeschäften bestehen, denn Deutschland hat keine Omi, die auf die Rückzahlung von 100€ für den Sommerurlaub verzichtet.

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