Donnerstag, 16. November 2017

Ökonomische Bildung mit dem Hintergrund Dyskalkulie an einem Beispiel

Ökonomische Bildung mit dem Hintergrund Dyskalkulie an einem Beispiel

Ich gehe davon aus, dass viele den Begriff „Dyskalkulie“ nicht kennen.

Die Definition: "Bereits im Kindergartenalter entwickelt sich ein Vorläuferwissen über die Bedeutung von Zahlen und Mengen. Diese Kenntnisse erweitern Kinder in den ersten Schuljahren – sie erlernen die Grundrechenarten und verinnerlichen die Basis mathematischer Logik. Jeder Lernschritt baut dabei auf den vorangegangenen auf.
Dyskalkulie erschwert diesen Lernprozess erheblich: Den betroffenen Kindern fehlen das nötige Mengenverständnis und die Zählfertigkeiten, um die Grundrechenarten erlernen zu können. Sie verstehen Zahlen als reine Symbole, nicht als Mengenangaben. Damit fehlt ihnen bereits das wesentliche Handwerkszeug, um Lernschritte in der Mathematik zu verinnerlichen." [1]

Auf Deutsch heisst das einfach: Matheschwäche.

Dyskalkulie hat extrem viele Facetten. Ich betrachte eine näher.

Ich werde die ökonomische Bildung am Beispiel meiner Großcousine beschreiben, die Dyskalkulie in späteren Jahren als Diagnose erhalten hat.
Sie hat keine Vorstellung von Mengenverhältnissen, Umrechnungen oder Raumvorstellungen. Die Liste ist, was Mathematik betrifft, sehr lang. Und sie ist noch länger, denn Dyskalkulie legt sich auch auf andere Bereiche wie Chemie, Physik, Informatik und Teile der Biologie um.

Und auch auf den privaten Haushalt. Denn der Betroffene hat keine Geldvorstellungen. Als sie ihr erstes Taschengeld bekommen hat, war sie in der dritten Klasse. Sie hat 3 DM bekommen und lief zum Supermarkt. Dort kaufte sie sich Gummibärchen und wunderte sich, warum sie nur einen Pfennig zurückbekam. Sie hatte keine Ahnung, was 2,99 DM im Endeffekt waren und dass sie ihr gesamtes Taschengeld gerade für schlechte Süßigkeiten rausgeschmissen hat.
Dies ging fast 15 Jahre so weiter. Sie bekam erhebliche Probleme in der Schule. Ihre Lehrer interessierte es gar nicht. Sie bekamen es nicht auf die Reihe, ein Ergebnis aus den Leistungen der einzelnen Fächer zu ziehen bzw. sie hatten es einfach niemals probiert.
Des Weiteren bekam meine Großcousine erhebliche Probleme was das Geld anbelangte. Da keiner wusste, dass sie Dyskalkulie hatte, gab sie ihr Geld mit vollen Händen aus. Sie hatte viele Jahre nur mit ihrer EC-Karte bezahlt und hatte keine Aufstellung der eigentlichen Verbrauchskosten. Sollte sie dennoch einmal bar bezahlen, hat sie es nicht geschafft, das Wechselgeld ordentlich auszurechnen. Das war auch der Grund, wieso sie nachher nur noch mit Karte bezahlt hat. Sie wollte sich niemals die Blöße vor anderen geben, dass sie erst mal einen Taschenrechner bräuchte, um das korrekte Wechselgeld ausrechnen zu können.

In ihrer Ausbildung hatte sie eine sehr gute Lehrerin in Rechnungswesen. Sie sollte in den ersten 2 Monaten Brüche und Prozentrechnung wiederholen. Dadurch, dass sie aber keine Mengenvorstellung besaß, schrieb sie eine glatte 6. Meine Großcousine ging zu ihrer Lehrerin, die sich mit ihr hingesetzt und die Probleme angehört hat. Die Lehrerin telefonierte sich die Finger wund, um meiner Großcousine zu helfen. Im Endeffekt kamen sie auf die Diagnose Dyskalkulie. Dies musste nur noch ein Test bestätigen.

Da es aber in Deutschland keine Tests für Erwachsene gibt, war diese Sache sehr schwierig. Im Endeffekt hat sie einen Kindertest erhalten. Dabei stellte sich die Diagnose Dyskalkulie endgültig heraus. Bei einem Gespräch über die Auswertung wurde ihr mitgeteilt, dass es immer mehr Schüler mit dieser Diagnose gibt. Diese Schwäche steht bis heute aber immer noch sehr im Hintergrund, da sich die Lehrer grundsätzlich eher auf die Lese-Rechtschreib-Schwäche konzentrieren. Auf Dyskalkulie wird nicht geachtet. Es gibt mehr Menschen in Deutschland, die über 20, 30, 40, 50 sind und noch älter, die Dyskalkulie haben. Nur keiner weiß es, da es nie publik gemacht wurde.

Meine Cousine hat danach bei einer anderen wunderbaren Lehrerin beim VHS Bildungswerk in Brandenburg/Havel "Krücken" in die Hand bekommen. Brüche kann sie immer noch nicht rechnen und wird es nie können, aber Prozentrechnung geht mittlerweile super. Nur einen Taschenrechner wird sie immer brauchen. Aber was viel wichtiger ist, sie hat Hilfe bezüglich des Geldes bekommen. Sie weiß nun, wie sie mit genau diesen "Krücken" sparen kann und auch einfach einkaufen kann, ohne dass nachher ein Loch in ihrer Geldbörse ist.
Sie schämt sich nicht mehr dafür, erst einmal in Ruhe das Wechselgeld auszurechnen. 

Denn genau das haben ihr diese beiden wunderbaren Lehrerinnen mitgegeben: das Selbstbewusstsein, mit dieser Schwäche besser umzugehen!

Und genau auf diesen Punkt möchte ich mit dieser Erzählung hinaus. Ökonomische Bildung ist extrem wichtig! Egal, ob es sich um "normale" Menschen ohne Schwäche handelt oder gerade um jemanden mit Schwäche. Die Lehrer müssen auf ökonomische Bildung achten. Und wenn sie Probleme bei den Schülern sehen, dann muss gehandelt werden. Wenn man handelt, kann man, wie an dem Beispiel meiner Cousine zu sehen ist, sehr viel zum Positiven verändern. Je mehr die Lehrer, also wir, auf ökonomische Bildung eingehen, den Kindern und Jugendlichen aufzeigen, wie man mit Geld umgeht, je weniger Verschuldung entsteht später. Bei diesem Beispiel der Dyskalkulie muss man entsprechend zu anderen Mitteln greifen, um dem Schüler dies klar zu machen. Es gibt immer Wege, dem Schüler auch eine andere Sichtweise der Dinge zu erklären, sei sie im ersten Moment auch noch so abwegig. Natürlich herrscht hier auch ein Zwang der Erziehung vom Elternhaus. Aber wenn die Kinder und Jugendlichen es nicht vorgelebt bekommen oder es einfach nicht verstehen, dass etwas "im Wege" steht, dann müssen wir in diesem Fach erst recht mehr das Augenmerk darauf legen. Kinder müssen lernen, wie man mit Geld umgeht.

Quellen:
[1] https://www.bvl-legasthenie.de/dyskalkulie.html


1 Kommentar:

  1. Hey Solveig,

    das ist ein sehr interessantes Thema und es regt einen zum Nachdenken an. Es ist sehr wichtig, das jeder Mensch diese Grundlagen gelehrt bekommt und das man als Lehrkraft solche Probleme bei den Schülern auch erkennt und versucht spezifisch auf die Jenigen einzugehen.

    Ein sehr guter Beitrag.

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